Κυριακή 2 Μαρτίου 2014

Europa-Talk bei Illner: Präsident und Überkanzler


Von Stefan Kuzmany

Joachim Gauck und Helmut Schmidt diskutierten bei Maybrit Illner die Europafrage eher neben- als miteinander. So unterschiedlich ihre Perspektiven, so einig ihr Ergebnis: Europa war, ist und wird gut.

Vermeide es, mit Kindern oder Tieren eine Bühne zu betreten, lautet eine alte Regel im Showgeschäft, denn die stehlen dir garantiert die Schau. Joachim Gauck sitzt auf einem Stuhl in der Talksendung von Maybrit Illner, er nickt viel und lächelt stumm, er redet für seine Verhältnisse erstaunlich wenig, immerhin ist er doch der Bundespräsident, berühmt und gerühmt für seine tollen Reden, aber jetzt schweigt er, eine hartnäckige Stubenfliege krabbelt über sein strahlend graues Haar, und zeitweilig sieht es so aus, als würde er gerade an diese alte Showbusiness-Regel denken und sie im Geist erweitern: Kinder, Tiere - und Helmut Schmidt.

So viel Altkanzler wie diese Woche war nie. Gerade hat man noch in den Nachrichten den Auftritt des höchst gebrechlich wirkenden und kaum seiner Sprache mächtigen Ex-Regierungschefs Helmut Kohl zur CDU-Feierstunde des dreißigsten Jubiläums seiner Kanzlerwahl verfolgt, da sitzt schon wieder einer im Rollstuhl auf dem Bildschirm, der einst die Geschicke des Landes gelenkt hat. Helmut Schmidt aber ist ganz im Gegensatz zu seinem alten Rivalen Kohl kein seltener Fernsehgast. Schmidt ist, seit ihn vor einigen Jahren der damals frischgebackene "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo "auf eine Zigarette" serienmäßig für sein Magazin dem allmählichen Vergessen entrissen hat, gefühlt so oft zu sehen wie sonst vielleicht nur noch Günther Jauch.

Bräuchte es noch ein Zeichen für die Krise Europas, dann wäre es die Medienpräsenz dieses Mannes. Die Menschen, respektive die Talkshowredaktionen suchen Antworten, und der hochgeachtete Schmidt ist derjenige, von dem man Antworten erhofft in diesen unruhigen Zeiten, Antworten auf alle möglichen Fragen, zum Beispiel auf diese des heutigen Abends: "Warum noch an Europa glauben?"

Deutschland erklären, Europa erklären, die ganze Welt erklären

Helmut Schmidts Antwort darauf ist dabei so bekannt und zwangsläufig wie die wohl zur Stunde beim ZDF eintreffende Beschwerde eines Nichtrauchervereins über das Gepaffe des Altkanzlers: Das Engagement für Europa, sagt er im Kern und in unzähligen Variationen, ist eine Friedenspflicht der Deutschen nach dem von ihnen angezettelten Zweiten Weltkrieg. Seine gesamte Vitalität scheint er aus dem Pflichtbewusstsein zu schöpfen, die Deutschen auf diesem richtigen Kurs halten zu müssen, die Kriegserfahrung und das Erleben der Nazi-Zeit mahnend weiter zu transportieren an die nächste, übernächste und womöglich auch noch überübernächste Generation, die besondere Verantwortung der Deutschen zu betonen, die vor nicht so langer Zeit sechs Millionen jüdische Mitbürger planmäßig ermordet haben.

Diese Aufgabe scheint Helmut Schmidt Kraft zu geben und seinen Geist wachzuhalten. Aber es gibt da offenbar noch einen zweiten Antrieb, eine zweite feste Überzeugung, nämlich diese: Deutschland erklären, Europa erklären, die ganze Welt erklären und ihre ökonomischen sowie politischen Zusammenhänge korrekt einordnen und analysieren, das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Ihr sind nur wenige gewachsen. Eigentlich kann es niemand. Außer natürlich er selbst, Helmut Schmidt. Also muss er ran, wieder und wieder.

Immerhin, er hat diesmal etwas Neues mitgebracht für die mehrheitlich jungen Zuschauer, die hier in der Berliner Veranstaltungsstätte Radialsystem zumindest auf den Publikumsbänken den Eindruck durchbrechen, dies sei eine Sendung für reife Jahrgänge: Schmidt probiert es mit Netzschelte: "Wir sind eine Welt von Twitterern und Internetnutzern", sagt Schmidt, noch schluckt man ob der Tatsache, dass er diese Vokabeln überhaupt im aktiven Wortschatz führt, da fährt er fort: "Oberflächlicher als vor 30 Jahren, oberflächlicher als auch vor 20 Jahren. Aber das muss nicht so bleiben. Das darf nicht so bleiben." Darin, erfährt man später, erblickt Schmidt auch irgendwie die Ursache für den galoppierenden Raubtierkapitalismus, die technischen Möglichkeiten haben eine Art von Geschäftemacherei möglich gemacht, die es früher nicht gab. Früher gab es ja noch nicht einmal Börsenkurse im Fernsehen.

Gaucks Markenkern: die Freiheit

Daneben: Joachim Gauck, der Bundespräsident. Doch, auch er darf reden, und Schmidt unterbricht ihn nicht, aber wohl kaum, weil er nicht sicher wäre, es besser zu wissen, sondern aus hanseatischer Höflichkeit vor dem höchsten Amt. Gauck hat wesentlich kürzer gebraucht als Schmidt, seinen Markenkern zu entwickeln, und der heißt, wir wissen es alle: Freiheit. In diesem speziellen Fall ist es die Freiheit, die die europäische Einigung uns Deutschen und allen Europäern garantiert, die Sicherheit, dass morgens um sieben nicht die Geheimpolizei klingelt und jemanden wegen eines kritischen Kunstwerks einsperrt. Das Wort "Raubtierkapitalismus" mag er nicht so gerne, denn dann gebe es ja auch "Raubtiersozialismus", "Raubtierislamismus", und "Raubtierfeudalismus". Ja, man brauche anständige Kaufleute, aber dann wieder: Wirtschaft muss auch frei sein.

Agenturmeldungen, die nach der Aufzeichnung, aber vor der Ausstrahlung der Sendung verbreitet wurden, lesen sich so, als hätte es eine wirkliche Diskussion zwischen dem vermeintlichen und dem echten Bundespräsidenten gegeben (wem welches Adjektiv zuzuordnen ist, können Sie je nach Präferenz selbst entscheiden) - aber das war nicht der Fall. Selbst das Schmidt zugeschriebene Wort, die Bundesregierung agiere im Krisenmanagement "nationalegoistisch", hat er selbst nicht in den Mund genommen - wohl aber hat er diese von Illner vorgeschlagene Vokabel bestätigt.

Merkel trage zum Teil selbst daran Schuld, wenn sie mit Hakenkreuzbinde auf Demos in Griechenland und anderswo gezeigt werde - habe sie doch "eine viel zu starke Zentralisierung der ganzen Fragekomplexe auf ihre Person vorgenommen". Dem widerspricht Gauck etwas später, jedoch nie konfrontativ: Die Kanzlerin handle nicht nur für Deutschland, wenn sie die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Landes betone, sondern auch für all jene kleinen, ärmeren Euro-Staaten, die schwer an ihrer europäischen Solidarität zu tragen hätten.

Man kann ja auch Sinnvolles twittern

So geht es weiter hin und her und vor allem nebeneinanderher: Die europäische Einigung aus der Perspektive des Nachkriegspolitikers Schmidt, der weniger Begeisterung dafür fordert als mehr Einsicht in deren Notwendigkeit. Europa aus der Perspektive des Nach-Mauerfall-Politikers Gauck, der das Geschenk der Freiheit lobpreist.

Die Perspektive der 17-Jährigen Abiturientinnen im Publikum kommt dabei etwas kurz. Was sie für Europa besser machen könne, will eine junge Frau aus dem Publikum wissen. Niemals den Glauben an die eigene Handlungsfähigkeit verlieren, antwortet Gauck. Und sich informieren - man könne schließlich auch Sinnvolles twittern. Und sie solle Geduld haben. Geduld, ja, meint auch Schmidt. Und das Bewusstsein für den Mord an den Juden erhalten. Aber eben auch den Nachbarn zeigen, dass wir nicht zum Morden geschaffen sind, sondern zum Gestalten, sagt Gauck.

Und selbst wenn es tatsächlich dazu kommen sollte, dass die Wirtschaft auch in Deutschland einbricht, selbst wenn es hier zu einer Wohlstandsdelle kommen würde für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre: Gauck gibt sich überzeugt davon, dass Europa dennoch lebenswert bleibe. Da traue er der deutschen Bevölkerung "eine ganze Menge" zu. Applaus! Jetzt ist sie wieder da, die Begeisterung für die Freiheit und das Vertrauen in das eigene Volk, die missionarische Botschaft des Bundespräsidenten Joachim Gauck zündet.

Das Problem der europäischen Einigung sei auch eines der Verständigung, sagt Helmut Schmidt, die Völker hätten ja alle unterschiedliche Sprachen und teilweise sogar verschiedenartige Buchstaben - am besten wäre es wohl, wenn wir alle Englisch reden würden, wohlgesetzte Pause, "aber das werden die Franzosen nicht zulassen". Das Publikum lacht, all die jungen Menschen im Berliner Radialsystem klatschen, und Helmut Schmidt lächelt glücklich. Sie lieben ihn noch.

Und Europa? Das wird schon. Wir müssen nur ganz fest daran glauben.

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