Κυριακή 26 Οκτωβρίου 2014

17 waren viel zu viele


10/9/2012

Von Leick, Romain und Mascolo, Georg

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der frühere französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing über die Euro-Krise und die Führungsschwäche in Europa

Selten herrschte zwischen einem deutschen Bundeskanzler und einem französischen Präsidenten eine so nahtlose Übereinstimmung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen wie zwischen Helmut Schmidt, 93, und Valéry Giscard d'Estaing, 86. Beide mussten sich in ihrer Amtszeit von 1974 an mit den Folgen des Ölpreisschocks, stagnierendem Wachstum, steigender Inflation und Arbeitslosigkeit auseinandersetzen. Nach dem Zusammenbruch des internationalen Währungssystems von Bretton Woods mit dem Dollar als Leitwährung machten sie sich für die Einführung des Europäischen Währungssystems (EWS) mit festen, jedoch anpassungsfähigen Wechselkursen und dem Ecu als Recheneinheit stark. Auf ihre Initiative hin wurde 1975 die "Gruppe der sechs" (G 6) aus Frankreich, der Bun-

desrepublik Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und den USA gegründet, die sich einmal im Jahr zum Weltwirtschaftsgipfel traf. Nach ihrer Abwahl (Giscard im Mai 1981, Schmidt im Oktober 1982) blieben beide ihrem europäischen Engagement treu. Giscard wurde 2001 zum Präsidenten des Europäischen Konvents berufen, der eine gemeinsame Verfassung ausarbeiten sollte. Bis heute verbindet beide Staatsmänner eine enge Freundschaft.

SPIEGEL: Herr Bundeskanzler, Monsieur le Président, vor über 30 Jahren haben Sie beide den Anstoß für die Errichtung des Europäischen Währungssystems gegeben und damit die entscheidende Vorstufe zur Europäischen Währungsunion geschaffen. Müssen Sie jetzt, als hochbetagte Elder Statesmen, befürchten, dass Sie den Zerfall des Euro noch erleben werden?

Schmidt: Es wird den Euro in einigen Jahren natürlich noch geben. Mich wird er ganz gewiss überleben. Es kann sein, dass er uns alle überlebt; davon gehe ich aus.

Giscard: Den Euro wird es sicherlich länger geben als uns. Ihre Frage ist interessant, weil sie im Grunde völlig ungewöhnlich ist. Warum fragen Sie zum Beispiel nicht, ob es den US-Dollar in ein paar Jahren noch geben wird, oder den japanischen Yen und den chinesischen Yuan?

SPIEGEL: Der Unterschied liegt auf der Hand: Das sind nationale Währungen großer Staaten und Volkswirtschaften.

Giscard: Der Euro ist die Währung eines Gebiets, das weniger Schulden hat als die Dollar-Zone, das einen riesigen Handelsüberschuss aufweist, das eine sehr gut geführte Zentralbank hat. Sein jetziger Wechselkurs zum Dollar liegt über dem Einführungskurs von 2002. Warum also die Zweifel?

Schmidt: Es werden jeden Tag irgendwelche Zweifel gesät. Aber der Euro an sich ist nicht gefährdet. Es gibt keinen Grund, warum es ihn nicht mehr geben sollte.

Giscard: Wir sind Opfer einer Verleumdungskampagne, die ihren Ursprung im amerikanischen Bankensystem hat. Wir stehen in einem Kommunikationskampf, der die Spekulation anheizt.

SPIEGEL: Dem Euro-Raum fehlt es an politischer und wirtschaftlicher Homogenität. Wie kann eine Union mit so unterschiedlichen Mitgliedern Bestand haben?

Schmidt: Als der Vertrag von Maastricht 1992 unterzeichnet wurde, hatte die EU zwölf Mitgliedstaaten. Und diese zwölf haben den Fehler gemacht, jedermann in Europa zum Beitritt einzuladen, auch zur gemeinsamen Währung. Tatsächlich geboren wurde die Währung erst zehn Jahre später. Inzwischen ist die EU auf 27 Mitglieder angewachsen, die in ihrer Mehrheit am Euro beteiligt sein wollten.

SPIEGEL: War das der Geburtsfehler?

Schmidt: Nicht der einzige. Es war ein Fehler, 27 Leute einzuladen und von denen hinterher 16 oder 17 zu akzeptieren.

SPIEGEL: Sind 17 auch heute zu viele?

Schmidt: 17 waren auf jeden Fall viel zu viele.

Giscard: Ganz ehrlich, es war ein Fehler, Griechenland aufzunehmen. Griechenland war einfach nicht reif. Griechenland ist im Grunde ein orientalisches Land. Helmut, ich erinnere mich, dass Sie sich schon skeptisch zeigten, bevor Griechenland 1981 in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen wurde. Sie waren weiser als ich. Die Euro-Gruppe darf nicht ins Uferlose vergrößert werden.

SPIEGEL: Wollen Sie einen Aufnahmestopp verhängen?

Giscard: Ich hoffe, dass wir so schnell keine weiteren Mitglieder aufnehmen werden - vielleicht mit einer Ausnahme: Polen. Diesem Land traue ich die Fähigkeit und die Bereitschaft dafür zu. Das könnte funktionieren. Mehr geht nicht.

Schmidt: Das ist auch meine Meinung.

SPIEGEL: Waren die Gründungsteilnehmer in Maastricht zu naiv?

Schmidt: Verwöhnt durch das relativ gute Funktionieren des vorangegangenen Europäischen Währungssystems, meinten die Regierungen, so ähnlich würde das auch mit dem Euro klappen, alles würde sich schon einrenken. Sie haben übersehen, dass es dazu ökonomischer Verabredungen, einer wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinierung bedarf.

SPIEGEL: Es gab durchaus strenge Auflagen. Es wurden Grenzen in der Haushaltspolitik und bei der Staatsverschuldung gezogen.

Schmidt: Die Deutschen haben nicht richtig hingeschaut. Sie waren beschäftigt mit der Wiedervereinigung. Für sie war damals das europäische Problem nicht gegeben. Sie standen vor der Notwendigkeit, die DDR mit der vorhandenen westdeutschen Wirtschaftskraft zu vereinigen. Das ist einigermaßen geglückt, mehr schlecht als recht.

Giscard: Es ist ja nicht so, dass nichts vorgesehen gewesen wäre. Es wurde nur nichts gemacht. Das Problem war nicht der Text des Vertrags, sondern dessen Nichtanwendung. Das ist eine kuriose Tatsache. Die Europäische Kommission, die die Einhaltung überwachen sollte, hat es lange nicht getan und keine Sanktionen verhängt. Das befreite die Regierungen von jedem Risiko. Sie konnten aus dem Vollen schöpfen, ohne Angst vor Abwertung oder finanzieller Bestrafung.

SPIEGEL: Hätte man damals mit der Währungsunion auch gleich eine politische Union durchsetzen müssen?

Schmidt: Das geht ein bisschen zu weit. Für die Überwindung der Staatsschuldenkrise, der Bankenkrise, der Konjunkturkrise, also der dreifachen Krise, in der wir uns zurzeit in Europa befinden, ist die politische Union nicht unbedingt notwendig. Auf mittlere Sicht ist sie absolut wünschenswert, aber sie ist keine Conditio sine qua non, ohne die wir aus den gegenwärtigen drei Krisen nicht herauskönnten.

Giscard: Die Euro-Gruppe hat einfach nicht die Organisation, die sie braucht. Die Vermengung der großen Europäischen Union mit der kleineren Währungsunion muss aufhören. Es geht nicht, dass alle 27 EU-Mitglieder sich dauernd einmischen und mitreden, wenn es um die Belange der 17 Euro-Mitglieder geht. In beiden Kreisen wird nicht die gleiche Sprache gesprochen.

SPIEGEL: Braucht die Euro-Gruppe eigene Institutionen neben denen der EU? Sie hat immerhin einen Vorsitzenden, den luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker.

Schmidt: Es wäre wünschenswert gewesen, der Euro-Gruppe außer einem Vorsitzenden aus Luxemburg auch noch einen außerordentlichen Stab zu geben. Das hat man versäumt.

Giscard: Natürlich braucht man Institutionen, wie soll sonst die finanz- und wirtschaftspolitische Koordination klappen? Wenn sich die Euro-Gruppe unter Junckers Vorsitz trifft, gibt es nicht mal einen Generalsekretär, nicht mal eine Niederschrift. Das ist absurd. Der Rat der Euro-Gruppe braucht eigene Strukturen, unabhängig vom großen Europäischen Rat. Seit einiger Zeit steht die Entscheidung über die Nachfolge von Herrn Juncker im Vorsitz der Euro-Gruppe an. Das ist eine unglaublich wichtige Berufung. Vielleicht wird es sogar ein Deutscher sein. Mit ihm sollte unbedingt ein Generalsekretär ernannt werden, der ihm zur Seite steht. Jeder Rat der Welt hat einen Generalsekretär.

SPIEGEL: Droht da nicht ein großes institutionelles Kuddelmuddel?

Giscard: Im Gegenteil, die Konfusion zwischen dem Europa der 27 und der Währungsunion der 17 muss gerade vermieden werden. Deshalb plädiere ich dafür, dass der kleine Euro-Rat sich in Straßburg trifft, nicht in Brüssel. Schon am Ort der Gipfel soll die Unterscheidung deutlich werden.

SPIEGEL: Würden beide Lager dann nicht unumkehrbar auseinanderdriften?

Giscard: Es gibt doch jetzt schon ein Europa der Integration, das mehr oder weniger schnell voranschreiten wird - die Euro-Gruppe. Und es gibt das Europa des Binnenmarkts, mit den Ländern, die in der EU nur an der Freihandelszone interessiert sind. Die Institutionen der einen sind für die anderen zu schwerfällig, und schwerfällige Institutionen sind machtlos. In der Euro-Gruppe gibt es welche, die zahlen, und es gibt welche, die Bittsteller sind. Dann sollten auch diejenigen, die zahlen, die anderen überwachen, die Anträge auf Hilfen stellen. Mit der EU-Kommission, die für die ganze Union zuständig ist, klappt das nicht.

SPIEGEL: Kann der Fiskalpakt mit seiner Schuldenbremse die Mängel beheben?

Schmidt: Wenn Sie mit einer kurzen Antwort zufrieden sind, dann lautet die: nicht wirklich.

SPIEGEL: Das zwingt zum Nachfragen. Warum nicht?

Schmidt: Es fehlt an einem Momentum, so wie es vor 40 und vor 30 Jahren für Schwung sorgte, nämlich an dem unbedingten Willen zur Zusammenarbeit zwischen dem französischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin - egal, was das Problem ist. Solange dieser Wille nicht vorhanden ist, sind die technischen Hilfsmittel von sekundärer Bedeutung. Das können Sie durch den Fiskalpakt nicht ersetzen, auch wenn er wesentlich besser ausgehandelt ist als der vorangegangene Euro-Stabilitätspakt.

SPIEGEL: Wie erklären Sie diesen Mangel an Tatkraft? Kennen der Präsident und die Kanzlerin sich noch nicht gut genug, liegt es daran, dass eine Nachkriegsgeneration das Ruder übernommen hat?

Schmidt: Über die Gründe und Motive können Sie lange philosophieren. Die Tatsache bestreiten Sie offenbar nicht, was ich leider verstehen kann.

SPIEGEL: Die Frage ist: Wird es sich mit der Zeit bessern?

Giscard: Ich denke, ja.

Schmidt: Das kann man nur wünschen. Franzosen und Deutsche sind wohl mehrheitlich für die verstärkte Kooperation und Integration. Dann müssen ihre Führer sich auch dazu verpflichten. Sie sollen es nicht nur sagen, sie müssen auch wirklich in diese Richtung gehen.

Giscard: Man darf nicht erwarten, dass es eine deutsche Führung in Europa geben kann. Das ist historisch gesehen unmöglich. Eine französische freilich funktioniert auch nicht. Die europäische Landschaft sieht doch einfach so aus: Da gibt es in der Mitte zwei große Länder, Deutschland und Frankreich, die nebeneinander existieren. Sie müssen zusammenarbeiten - Punkt.

SPIEGEL: Das haben sie trotz aller Krisen und Spannungen bisher auch getan.

Schmidt: Darf ich mal eine grundsätzliche Bemerkung machen: Der Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland war zunächst den Amerikanern und in zunehmendem Maße seit 1950 den Europäern, insbesondere den Franzosen, zu verdanken. Die Montanunion, die Wirtschaftsgemeinschaft für Kohle und Stahl, kam 1952 zustande, der Elysée-Vertrag über die deutsch-französische Partnerschaft elf Jahre später. Beides geschah auf französische Initiative. Die Deutschen haben profitiert von der Weltlage, von der Solidarität der Nachbarn, die nicht aus Selbstlosigkeit, sondern aus Notwendigkeit gewährt wurde. Man durfte im Zentrum Europas nach 1945 keine Elendsgebiete entstehen lassen. Und heute sind die Deutschen in der Lage, ihrerseits bezahlen zu müssen und zu können. Und das sollten sie auch wollen. Aber dazu muss man es dem deutschen Volk erklären. Das geschieht jedoch nicht, jedenfalls nicht ausreichend.

SPIEGEL: Wer muss es erklären?

Schmidt: Die Kanzlerin, der Bundespräsident, die regierenden Parteien im Bundestag.

SPIEGEL: Die würden darauf entgegnen, dass sie sich alle Mühe geben, der Vorsitzende Ihrer eigenen Partei eingeschlossen.

Schmidt: Einige tun es ein bisschen, dazu gehört der von Ihnen genannte Herr Gabriel. Die Kanzlerin tut es ganz wenig. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion tut es kaum. Die "Bild"-Zeitung tut es überhaupt nicht.

Giscard: Charles de Gaulle und Konrad Adenauer haben es gemacht, weil sie sich lebhaft an den Krieg erinnern konnten. Helmut und ich haben es ebenfalls gemacht. Helmut Kohl und François Mitterrand auch noch. Dann hat es irgendwie aufgehört. Der Konsumgeneration nach dem Krieg war das egal. Sie hat sich dafür nicht interessiert. Wir müssen zurück zu einem einfachen Grundgedanken: Die europäische Integration, das Zusammenwachsen Europas, muss in der Euro-Zone stattfinden. Die treibende Kraft dafür sind Frankreich und Deutschland. Das ist alles machbar, nichts davon übersteigt menschliche Fähigkeiten.

SPIEGEL: Müsste zu den selbstauferlegten Regeln der Euro-Gruppe auch ein Austrittsmechanismus für Länder gehören, die sich an die Vorgaben nicht halten?

Schmidt: Das halte ich für eine ganz unwichtige, eine tertiäre Frage.

SPIEGEL: Sie wird aber mit Blick auf Griechenland gerade in Deutschland nachdrücklich gestellt.

Schmidt: Viel wichtiger ist der unbedingte Wille zur Zusammenarbeit, nicht die Frage, wie man jemanden hinausbegleitet - ob mit Komplimenten oder mit Fußtritten.

Giscard: Es kommt darauf an, dass jeder zu seiner Verantwortung und zu seinen Pflichten steht. Daraus können wir Griechenland nicht entlassen. Wenn es sich dem nicht gewachsen fühlt - bitte schön, dann soll es selbst entscheiden. Wer drin ist, darf sich nicht durchmogeln.

SPIEGEL: Wer würde denn die Vereinigten Staaten von Europa bilden, wenn es irgendwann dazu käme? Die 17 der Euro-Gruppe oder die 27 der EU?

Giscard: Eindeutig die 17! Wer zu dieser Gruppe stoßen will, muss den Willen zur Integration mitbringen. Aber wir üben keinen Druck aus, null. Wenn die Briten, die Dänen und die Schweden nicht dazugehören wollen, dann ist das eben so. Darin steckt kein Konfliktstoff. Im Gegenteil, die EU könnte sich ziemlich problemlos erweitern, etwa die Türkei oder die Ukraine aufnehmen, wenn ihr Kern, die Euro-Zone, davon unberührt bliebe. Wir könnten die Vereinigten Staaten Europas bilden - aber nur im engeren Kreis, nicht im äußeren, großen Verbund. Kanada und Mexiko treten ja auch nicht den USA bei.

SPIEGEL: Selbst im engeren Kreis würde eine transnationale Demokratie, wie sie für einen Föderalstaat nötig wäre, Europa vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Wie wollen Sie das oft beklagte Demokratie- und Legitimationsdefizit in der Europäischen Union beheben?

Giscard: Ja, das System leidet unter einem Mangel an Demokratie. Sie muss Schritt für Schritt eingeführt werden. Wenn der nächste ständige Ratspräsident ernannt wird - wer kennt schon in der breiten Öffentlichkeit den jetzigen, Herman Van Rompuy? -, kann das nicht plötzlich und sofort in allgemeinen Wahlen geschehen. Aber wir können den Kreis der Entscheider öffnen, zum Beispiel das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente mit einbeziehen.

Schmidt: Valéry und ich, wir beide haben vor gut 30 Jahren dem Europäischen Parlament die Legitimation durch die Direktwahl verschafft. Wir haben damals unterstellt, das Parlament würde nunmehr auch anfangen zu reden und sich Gehör verschaffen. Das hat es aber nicht getan. Wir haben gedacht, das Parlament würde sich seine Rechte selbst nehmen. Das hat es nicht getan, bis heute nicht.

SPIEGEL: Das hat es doch versucht, es versucht es immer wieder.

Schmidt: Neuerdings hört man die Versuche. Aber man kann sie kaum lesen. Denn die deutsche Presse weigert sich, über die Verhandlungen und Beratungen im Europäischen Parlament auch nur Meldungen zu bringen. Das ist einer der vielen kleinen Mängel im Betrieb Europa.

Giscard: Das Europäische Parlament leistet gute Arbeit, aber es hat nie den Mut an den Tag gelegt, starke, eindringliche politische Entscheidungen zu treffen, ein Zeichen zu setzen.

SPIEGEL: Etwa?

Giscard: Wenn die Europäische Kommission nicht gut ist, muss sie ausgewechselt werden. Das Parlament könnte das tun.

SPIEGEL: Die besten und tüchtigsten Politiker zieht es noch immer nicht in die europäischen Ämter.

Giscard: Als Jacques Delors von 1985 bis 1995 Kommissionspräsident war, hatte Europa eine starke und bekannte Führungsfigur. Wir müssen eine Generation heranziehen, deren Ehrgeiz darin besteht, wichtige Ämter in Europa auszuüben. Der Präsident der Europäischen Zentralbank steht doch über den jeweiligen Präsidenten der nationalen Zentralbanken. Da sollte es nicht schwerfallen, die Ambitionen zu wecken.

Schmidt: Man muss solche Persönlichkeiten auch wollen, man muss sie ernennen, ohne ihren Schatten zu scheuen.

SPIEGEL: Fürchten Sie, dass die Krise und der Streit ums Geld Europa am Ende überfordern?

Schmidt: Eine Renationalisierung, eine Manifestation des nationalen Egoismus fürchte ich nicht nur, sondern stelle ich als Tatsache fest. Nicht nur in Deutschland, aber vor allem auch in Deutschland. Uns geht es relativ gut, den anderen schlecht. Also wollen wir unsere Groschen für uns behalten. Das ist eine durchaus verständliche, aber nicht zu entschuldigende Haltung.

SPIEGEL: Kann Europa an Geschichtsvergessenheit scheitern?

Schmidt: Ganz ausschließen lässt sich das nicht. Allerdings: Die deutsche jüngere Geschichte kann gar nicht vergessen werden, auch in 100 Jahren nicht. Und das ist auch gut so.

Giscard: Die nationalistischen Stimmen, die sich überall wieder regen, auch in meinem Land, sind doch allesamt rückwärtsgerichtet, sie weisen nicht nach vorne. Nationale Nostalgie kann Europa nur nach unten ziehen. Die jungen Europäer wissen, dass darin keine Zukunft liegt. Wir müssen die Integration neu beleben, das System neu starten. Das ist die Aufgabe, der sich Frankreich und Deutschland stellen müssen.

SPIEGEL: Herr Schmidt, Monsieur Giscard, neigt man im Alter eher zu Pessimismus? Wie sehen Sie Europas Zukunft?

Schmidt: Von einem 93-Jährigen Optimismus zu erwarten, ist ein bisschen viel verlangt. Ich blicke nicht mit Pessimismus in die Zukunft, aber mit Skepsis. Ich habe mir mein ganzes politisches Leben lang immer verboten, Optimist oder Pessimist zu sein. Ich habe stets versucht, die Lage so realistisch wie möglich zu beurteilen und sodann pragmatisch zu handeln. Das hat sich im Alter nicht geändert.

Giscard: Mit zunehmendem Alter sieht man eher die langfristigen Strömungen und Tendenzen, und die sprechen nicht für uns.

SPIEGEL: Wird Europa zu den Weltmächten des 21. Jahrhunderts gehören?

Giscard: Ja. Es hat das Zeug dazu. Und wir sollten ihm die Chance dafür geben.

Schmidt: Hier wäre ich etwas vorsichtiger. Die Europäische Union wird kaum zu einer wirklichen Weltmacht zusammenwachsen. Europa muss auch keine Weltmacht sein.

SPIEGEL: Herr Schmidt, Monsieur Giscard, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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